zurück zu Chronik
zurück zu Texte




Sandro Vadim: o.T., 2005

Lothar Rumold: "Von der Frivolität des freien Geistes - über Sandro Vadims Malerei". Rede zur Eröffnung einer Ausstellung mit Werken von Sandro Vadim im Klinikum Langensteinbach am 10. Mai 2006

Lieber Sandro, Herr Professor Diehm, Meine Damen und Herren,

"99% aller Leute, die in der Kunst tätig sind, glauben an die Harmlosigkeit von Kunst", sagt der Maler und Aktionskünstler Jonathan Meese. Wenn man wie Sandro Vadim und ich auf der Rückreise von einer Ausstellungseröffnung in Halle in der Bahnhofsgaststätte von Eisenach einmal Bockwurst mit Sauerkraut und Kartoffelbrei gegessen hat, dann hält man die Kunst nicht mehr für harmlos.

Und von Jonathan Meese gleich noch ein Nachschlag: "Ob man malen kann oder nicht, spielt für die Malerei überhaupt keine Rolle, entweder man macht's oder man lässt's". Muss ich mich nun beeilen zu bemerken, dass Sandro Vadim natürlich malen kann? Ich erspare uns diese Versicherung und weise stattdessen darauf hin, dass der 1964 in Rom Geborene 1983-88 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe freie Malerei und Grafik studiert hat. Im übrigen hat Meese natürlich recht: es geht in der Malerei tatsächlich nicht darum, gut gemalte Bilder zu produzieren. Ist das "schwarze Quadrat auf weißem Grund" von Kasimir Malewitsch nach 1913 in die Kunstgeschichte eingegangen, weil es gut gemalt ist? Wer wollte das im Ernst behaupten.

Worum geht es beim Malen, worum geht es beim Kunstmachen? Schwer zu sagen. Leichter schon: zu sagen, worum es nicht geht. Es geht also zum Beispiel nicht darum, gut zu malen. Meine Damen und Herren: es geht aber auch nicht darum, nicht gut zu malen. Beim Betrachten von Sandro Vadims Bildern habe ich immer wieder den Eindruck, er zeigt mir in seinen Werken auch, worum es ihm in der Malerei nicht geht.

Da gibt es ein neueres Bild, worin die Farbe Rot dominiert, das hat für mich eine bemerkenswerte Tiefe. Aber schon im nächsten Werk zeigt Sandro Vadim, dass es ihm nicht um Dreidimensionalität oder illusionistische Raumwirkung geht. Dann gibt es Bilder, deren Licht scheint irgendwo im Inneren gefangen zu sein. Doch die Bilder daneben entfalten ihre Strahlkraft beinahe ungehindert und wolkenfrei. Bei vielen Bildern hat man den Eindruck, dass etwas übermalt worden ist. Schon für sich genommen signalisieren diese Arbeiten Revision: das ganz oder teilweise Zurücknehmen und Neu-Formulieren eines zuvor Gesagten.

Es ist, nebenbei bemerkt, eine typische Paradoxie des Sprechens über Kunst, dass Wörter wie "sagen", "kommentieren", "widersprechen" in Bezug auf Bilder nur als Bilder, das heißt als Metaphern, also als sprachliche Bilder in Betracht kommen. Denn gemalte Bilder "sprechen" eben gerade nicht und Malerei ist nicht die Fortsetzung des Geplauders mit anderen Mitteln. Hätte der Maler etwas sagen wollen, so hätte er dies getan. Er hat aber gemalt - und das ist etwas ganz anderes.

Auch das gerade erwähnte revidierende Übermalen, ist nicht das, worum es Vadim eigentlich geht. Es gibt Bilder, in denen keine zweite, keine übermalte Ebene erkennbar ist, obwohl gesagt werden muss: auch diese gewissermaßen zugemalten Bilder lassen, in Erinnerung an die Begegnung mit den gewissermaßen nicht-zugemalten Bildern eine nicht sichtbare Ebene erahnen. Ob diese de facto vorhanden ist oder nicht, ist mit dem bloßen Auge kaum erkennbar. Hier zeigt sich einmal mehr: das Werk ist nie ein bloßes Agglomerat von Einzelwerken, sondern das Werk bildet einen Zusammenhang, das Werk ist ein Reigen, in dem sich die Einzelwerke gegenseitig kommentieren und in der Wahrnehmung beeinflussen. Bei Sandro Vadims Arbeiten kommt hinzu, dass sie häufig in Werkgruppen, genauer: in Gruppen von Werken, an denen gleichzeitig gearbeitet wird, entstehen.

Womöglich muss man diesen quasi sich selbst widersprechenden Bildern von Sandro Vadim jene Frivolität des freien Geistes zusprechen, der mit dem Einatmen Positionen einnimmt, die er mit dem Ausatmen wieder räumt, wie ein bekannter Karlsruher Philosoph bemerkt hat.

Seit den Tagen der Avantgarde des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts sollte klar sein: im Zentrum der Kunst steht nicht der Gegenstand, sondern die Aktion, die Aktivität des Künstlers. Oder wie der bereits erwähnte Peter Sloterdijk in "Zur Welt kommen, zur Sprache kommen" sagt: "Es geht in der Kunst um das Zeugnis und dann erst um die Kreation". (S. 21) Sandro Vadims Gemälde sind auch Zeugnisse eines Zwar-Aber, einer bestimmten Art von Ambivalenz, eines Sowohl-als-Auch, einer Absage an fixe, dogmatische Positionen und unumstößliche Regeln. Deine Rede sei "ja, ja", "nein, nein", heißt es in einem der meistgedruckten Bücher der Welt. Dass man mit dieser zweiwertigen Logik der Komplexität der menschlichen Verhältnisse zu keiner Zeit unfallfrei gerecht werden konnte, lehrt ein Blick in die Geschichtsbücher.

Nach diesen eher abstrakten Bemerkungen sozusagen über den Geist von Sandro Vadims Bilder, nun noch einige Sätze über deren konkrete Stofflichkeit, beides tritt uns im Gemälde natürlich als Einheit entgegen. Der Maler Franz Gertsch gab die politisch gemeinte Malerei auf, als er bemerkte, dass sein Vietnam-Gemälde wegen der schönen Farben gekauft worden war. Lapidar stellte er danach fest: "Malerei ist sinnlich". Die Sinnlichkeit von Sandro Vadims Malerei gründet in der Farbe und im Umgang mit ihr.

Würde ich Ihnen nun erzählen, welche Farben Sie in Sandro Vadims Gemälden sehen können, ginge es Ihnen mit mir nicht viel besser als den Museumsbesuchern in Thomas Bernhards Roman "Alte Meister" mit den Museumsführern, über die der Erzähler des Romans nichts Gutes zu sagen weiß: "Die Führer in den Museen behandeln die ihnen Anvertrauten doch immer nur als Dummköpfe, während sie doch niemals solche Dummköpfe sind, sie erklären ihnen vornehmlich immer das, was ja naturgemäß ganz und gar deutlich zu sehen ist und das also gar nicht erklärt zu werden braucht, aber sie erklären und erklären und zeigen und zeigen und reden und reden." Dies, wie gesagt aus Thomas Bernhards: "Alte Meister".

Es mag zum Stichwort Farbe also genügen, Sandro Vadim selbst zu zitieren, der vorgestern Abend in diesem Gebäude die rhetorische Frage gestellt hat: "Ist das nicht ein geiles Blau?!" Und Sie werden mir vielleicht auch nicht vorwerfen, dass ich Sie wie Dummköpfe behandle, wenn ich Sie auf das sinnliche Moment der in den Werken allenthalben vorhandenen Wisch- und Kratzspuren hinweise.

In diesen Kontext gehören auch die oftmals erkennbaren Spuren heruntergelaufener Farbe. Mir scheint, gerade sie verraten einiges über die Haltung des Künstlers als Handwerker. Offenbar darf man ruhig sehen, dass hier mit Flüssigkeiten gearbeitet wurde. Offenbar ging es Sandro Vadim nicht darum, ein im kunsthandwerklichen oder dilettantischen Sinn makelloses Ergebnis zu erzielen. Mit Farbtrielern beugt Sandro Vadim Missverständnissen vor: Wie die Eleganz den Tiefsinn vor sich selbst rettet (Peter Sloterdijk), so rettet ein wenig Schlamperei den Virtuosen vor dem Virtuosentum. "Don't be too perfect, sonst Gott böse", sagt Nam June Paik. Der Künstler mutet seinem Publikum dort souverän ein paar Farbtrieler zu, wo der Handwerker ängstlich bemüht sein muss, dem Kunden keinen Vorwand für eine Zahlungsminderung zu liefern.

Von der Sinnlichkeit der Farbe und des Umgangs mit ihr zu den Formen. Sandro Vadims Malerei mag man, wie ich oben vorgeschlagen habe, als Plädoyer für eine mehrwertige Logik lesen, für eine Logik, in der es ein Jain gibt, eine Logik des dritten und vierten Weges. Die angemessene Gestalt dieser malerischen Logik - und Sie sehen sie hier in allen Bildern - ist die der Wolke, wobei es sich bei Sandro Vadims Farbfleckwolken wohlgemerkt nicht um Abbildungen von Wolken handelt, Vadim ist kein Wolkenmaler, allenfalls eine Art Wolkenmacher. Wolke, das ist Gestalt in Bewegung, das ist Form gewordene Formlosigkeit, das ist die These, die ihre Antithese schon in sich trägt, das ist dieser flüchtige Moment, das bist du, das bin ich. Aber bei aller Flüchtigkeit kann sie doch das sein, was die Unvergänglichkeit des Augenblicks garantiert, so heißt es in dem Gedicht "Erinnerungen an Marie A." von Bertolt Brecht, er könne sich zwar nicht an ihr Gesicht und kaum an ihren Kuss erinnern, wohl aber an die Wolke am Sommerhimmel, unter dem es vor Jahr und Tag passiert ist: "Die weiß ich noch und werd ich immer wissen / Sie war sehr weiß und kam von oben her."

Meine Damen und Herren, wir nähern uns dem Sommer, Sandro Vadims Wolken blühen, anders als diejenige in Brechts Gedicht, nicht nur Minuten, vielleicht wollen Sie sich die eine oder andere als Erinnerung an diesen Tag bewahren, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich danke Ihnen.

Lothar Rumold

zurück zu Chronik
zurück zu Texte