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Lothar Rumold: "Grade der Künstlichkeit". Rede zur Eröffnung einer Ausstellung mit eigenen Werken am 28. März 2003 im Haus des Handwerks, Karlsruhe.

Meine Damen und Herren,

das Holzbildhauerhandwerk, wie es im Verzeichnis der Handwerksberufe geführt wird, kommt als Kunst vor allem als eine brotlose in Betracht. Fragt man einen Schnitzer, wie der Holzbildhauer mitunter auch genannt wird, ob er Künstler oder Handwerker sei, so antwortet er vorzugsweise mit: ja, er sei Künstler oder Handwerker.

Als Holzbildhauermeister und freier Bildhauer bin ich Mitglied sowohl in der Holzbildhauerinnung als auch im Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, wogegen niemand etwas hat, solange ich in beiden Vereinen irgendwann einmal meinen Beitrag bezahle.

Sie werden also verstehen, dass ich heute Abend hier im Haus des Handwerks anlässlich der Eröffnung einer Kunstausstellung gar nicht anders kann als etwas zu sagen über das Wesen von und damit auch den Unterschied zwischen Kunst und Handwerk.

Von Alberto Giacometti stammt der Satz: "Ich habe nur dann das Gefühl voranzukommen, wenn ich nicht mehr weiß, wie ich das Messer, mit dem ich modelliere, halten soll." Im heißen, produktiven Kern des Kunstschaffens zeigt sich als dessen benennbares Charakteristikum ein Mangel an Kenntnissen und Fertigkeiten. Überspitzt gesagt, heißt Künstler sein, zugeben müssen, dass man im entscheidenden Moment sein Handwerk nicht mehr beherrscht und daher für nichts garantieren kann. (Dem Handwerker, der aus Reklamegründen unter dem Pseudonym des Künstlers auftritt, sollte das zu denken geben.) Im Zentrum der Kunst steht, allen anders lautenden Gerüchten zum Trotz, ein Nicht-Können; im Zentrum des Handwerks steht und soll stehen der zuverlässige Gebrauch von Kenntnissen und Fertigkeiten.

Nach diesen unumgänglichen, dem Doppelcharakter meiner beruflichen Existenz geschuldeten Behauptungen, möchte ich nun ein paar Anmerkungen zu einigen meiner Arbeiten machen.

Während das Wort 'Holz' beinahe als Synonym für 'Natur' gebraucht werden kann, ist im 'Kunstwerk' die Künstlichkeit schon im Ausdruck enthalten. Der Holzbildhauer als Künstler ist demnach unter denselben vielleicht derjenige, der noch am wenigsten Anteil hat an der von Peter Sloterdijk für die Moderne konstatierten "fortschreitenden Verkünstlichung" der Welt. Warum die Holzschnitzer in ihrer Mehrheit noch in vormodernen Zeiten leben - jedenfalls in ästhetischer Hinsicht - ist mir nach der Lektüre von Sloterdijks Aufsatz "Zur philosophischen Rechtfertigung des Künstlichen" (Untertitel) vielleicht ein wenig klarer geworden - es liegt hier offenbar ein materialbedingter Konservatismus vor. (Ich vertraue auf ihre Diskretion und darauf, dass heute kein weiterer Holzbildhauer anwesend ist.)

Unter den "Kinder[n] des Nichts", wie Peter Sloterdijk die Kunstwerke schön nennt, gilt es also noch einmal zu unterscheiden zwischen denen, die den Busen der Natur nur ungern verlassen und denen, die zusammen mit ihren technischen Geschwistern zur Künstlichkeit entschlossen den Sprung ins Nichts als Raum des willentlich zu Vollbringenden wagen.

Mein "Eichbaum im Schnee" und in der Mitte der Halle ist noch ganz was er war, aber schon etwas, was er sich nie hätte träumen lassen. Deutlich sichtbar überschneiden sich im wörtlichen Sinn in den Astansätzen natürliche und mit Absicht herbeigeführte Strukturen. Wie bei allen meinen hier gezeigten Arbeiten wird die Schrift zur anderen Oberfläche, zur draufgehauenen Kunst-Haut, der man ähnliche mediale Funktionen zuschreiben mag, wie der ersten, an deren Stelle sie gesetzt wurde.

Der Pastior-Würfel aus dem Jahr 1998 steht in der Nähe des Eichenstamms und doch trennen ihn von diesem Welten. Er ist von einem kaum zu überbietenden Grad an in sich geschlossener Künstlichkeit. Es wundert mich im Nachhinein nicht, dass ich bei seiner Anfertigung ohne zu wissen, was ich tat, die industriell verarbeiteten Formen des Holzes, nämlich Spanplatte und Pappe verwendet habe, letztere überdies geschnitten von einem computergesteuerten Cutter. Ihn als Raumkörper-gewordenes Gedicht zu bezeichnen, wäre keine Übertreibung. Denn an der Wiege seines Entstehens wurde ihm Oskar Pastiors Sestine "abnehmend wie zunehmend" gesungen. Man müsste dieses Gedicht einmal singen lassen, um ermessen zu können, welches Maß an literarischer Verkünstelung hier erreicht ist. Ich empfehle den leider, aber notwendigerweise nicht sehr bekannten Autor Oskar Pastior allen, für die Literatur nicht dort endet, wo das Geschichten-Erzählen aufhört. Wer etwas über die Details meines Pastior-Würfels erfahren möchte, dem gebe ich gerne Auskunft - es gibt ihn übrigens auch als kleine Version fürs Bücherregal.

Die im Wasser liegenden Kugeln wurden vor zwei Jahren von dem Bodybuilding-Europameister Jürgen Hüttisch von einer Kleinsteinbacher Brücke aus in den Bocksbach geworfen. Nun sind sie hier angekommen. Man kann ihnen ansehen, dass die Zeit nicht nur alle Wunden heilt, sondern zumindest vorläufig noch alles Künstliche renaturiert. Die großen und kleinen Projekte, auch dann, wenn sie vom stärksten Mann der Alten Welt in diese "geworfen" worden sind, werden anscheinend über kurz oder lang vom großen Seins-Projekt eingeholt und in dieses reintegriert. Im jetzigen Stadium ihrer Rückverwandlung wären meine Kugeln potentielle Objekte quasi-archäologischer Untersuchungen. Den Archäologen unter Ihnen und nicht nur diesen empfehle ich unsere Preislisten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Lothar Rumold

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