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Lothar Rumold: Grußwort zur Eröffnung einer Ausstellung mit Werken von Mia Leinberger im Regierungspräsidium am Rondellplatz am 24.4.2007

Liebe Frau Leinberger, Herr Vizeregierungspräsident Wurster, Herr Dr. Heck, Herr Breh, meine Damen und Herren,

in der Einladung haben Sie gelesen, dass ich für die Künstlerverbände BBK und GEDOK spreche - Mia Leinberger ist in beiden Vereinen (wie ich meinerseits der Einladung entnommen habe) seit über 50 Jahren Mitglied.

Mitgliedschaft in einem Verein, Mitgliedschaft in der Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer und im Bezirksverband Bildender Künstler (seit einigen Jahren expressis verbis auch: Künstlerinnen) - was heißt das? Wo bin ich, wenn ich in diesen Vereinen bin?

Mitglied sein heißt zunächst einmal, dass man seinen Mitgliedsbeitrag halbwegs pünktlich bezahlt. Mia Leinberger ist ihren Zahlungsverpflichtungen offenbar 50 Jahre lang zuverlässig nachgekommen, sonst hätten wir uns heute ihr zu Ehren nicht hier versammelt. Sind unsere Vereine - denn ich gehe davon aus, dass man bei der GEDOK auch Beitrag zahlen muss - sind unsere Vereine also nichts anderes als Gruppen von Mitgliedsbeitragszahlern und Mitgliedsbeitragszahlerinnen?

Erst gestern erreichte mich das Kündigungsschreiben eines älteren Vereinsmitgliedes, das sich rückblickend bedankt für die Informationen und Hinweise, die ihm immer nützlich gewesen seien und bei seinen Aktivitäten gut geholfen hätten. Die meisten Kündigungsschreiben sind übrigens wesentlich nüchterner gehalten.

Sind das hinreichend starken Gründe, um im Verein zusammen zu sein: Mitgliedsbeitrag, Informationen, Hinweise?

Meine Damen und Herren, Mia Leinberger wird 90, unser Papst Benedikt ist gerade erst 80 geworden und meine zukünftige Schwiegermutter ist jetzt 70. Sie bemerken: ich arbeite mich in der Zahlenreihe in 10er-Schritten nach unten. Ein bekannter Karlsruher Philosoph wird oder wurde in diesem Jahr 60. Im zarten Alter von 50 Jahren hielt er, Peter Sloterdijk, in Berlin eine Rede mit dem Titel "Der starke Grund, zusammen zu sein". Es geht darin um den "starken Grund des Zusammenseins von Menschen in großen politischen Einheiten vom Typus moderner imperialer Nationalstaaten" (S. 27). Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber Manches von dem, was die Nation im Inneren zusammenhält, lässt sich übertragen auf kleine kulturpolitische Gebilde vom Typus BBK und GEDOK. Wenn ich von Übertragung rede, dann meine ich damit allerdings nicht das Konstatieren eines Ist-Zustandes, sondern das Postulieren oder Herbeiwünschen eines Soll-Seins.

Denn nicht allein für Nationen, sondern auch für andere Kollektive könnte gelten, dass es sich bei ihnen, wenn man von Formalitäten wie Reisepässen und Mitgliedsausweisen, Steuern und Beiträgen einmal absieht, um "Effekte von ... psycho-akustischen Inszenierungen" handelt. Nationen wie Vereine wären dann ihrer inneren Form nach Hör- und Lesegemeinschaften, auch Klatsch- und Tratschgemeinden, die fortwährend zusammenhalten und zusammenwachsen dadurch, dass man "sich zusammen hört, ... zusammen liest, ... zusammen informiert und aufregt" (27).

Unter dem Stichwort "Vereinskultur" wäre dann das zusammenzufassen, was die kulturelle Zusammengehörigkeitshypnose aufrecht erhält, die telekommunikative Glocke stabilisiert. Wie bei den Nationen wäre auch bei den Vereinen zu fragen "nach dem Äther der Gemeinsamkeit, in dem die Träume, die Ressentiments, die Traumatismen und die Hoffnungen" (29) der Mitglieder schwingen.

Es ist dies, allgemein gesagt, die Frage nach den "formativen Kommunikationen" und den "sich selbst wahrmachenden Appellen" (31) - in Abänderung eines Zitates könnte man mit Peter Sloterdijk sagen: wo der Verein sich selbst nicht hervorruft, tritt er auch nicht ins Dasein heraus. (31) Ich zitiere wörtlich: "Was es zu begreifen gilt, ist eben nichts anderes als der Umstand, dass es Nationen (resp. Vereine) erst geben kann, wenn sie in einer bestimmten Weise und Hinsicht herbeigeredet werden." (31)

Während die alltägliche nationale Massenkommunikation ohne "vereinigende Hysterien und integrierende Paniken" (30) nicht auszukommen scheint, können wir auf der Ebene von GEDOK und BBK wohl den Versuch wagen, den Erfordernissen unserer autoplastischen Natur (44) in gelassenerer Haltung gerecht zu werden. Auch wir Künstler(innen)vereine existieren nur in dem Maße, in dem wir uns selbst erregen (44), uns "die mediale Verfassung eines selbsterregenden Chores" (41) geben.

Als Formen unserer Selbsterregung und Selbstanregung kommen traditionellerweise Ausstellungen wie diese von Mia Leinberger in Betracht. Als selbsterregender Chor müssen wir zukünftig allerdings noch mehr Strophen singen als die eine vom Bilderaufhängen und die andere vom Kursegeben.

Denn ohne Hysterie und Panik verbreiten zu wollen meine ich sagen zu müssen: Angesichts einer sich rasch um nicht zu sagen: revolutionär wandelnden Kunst- und Medienlandschaft einschließlich der damit einher gehenden Umstellungen in der Praxis der Mittelvergabe der öffentlichen Hände gilt auch für unsere Vereine, dass sie sich aufraffen müssen zu sich selbst, "um erst danach (...) wirklich dazusein und um mit realer Energie etwas Reales, Zukunftsweisendes, Gültiges in Angriff nehmen zu können. Freiheit ist anstrengend, wer will es leugnen, und was wäre eine Nation (hier: ein Verein) wenn sie (er) kein unierter Anstrengungskörper wäre." (35f.)

Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass Teile der unierten Angstrengungskörper GEDOK und BBK aktiv geworden sind und zum Gelingen dieser Ausstellung mit Werken von Mia Leinberger beigetragen haben. Vor allem hat natürlich Mia Leinberger selbst zum Gelingen ihrer Werkschau beigetragen, also gilt unser Dank, der Dank von BBK und GEDOK in erster Linie der Künstlerin, die unseren Vereinen so lange Zeit die Treue gehalten hat und hoffentlich noch lange halten wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Lothar Rumold

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