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Lothar Rumold: "Bilder dauern vor sich hin". Rede zur Eröffnung der 13. Gruppenausstellung Grötzinger Maler am 26.12.2004

Meine Damen und Herren,

am 27. Dezember 2000, also vor ziemlich genau vier Jahren, habe ich anlässlich der Eröffnung der 11. Gruppenausstellung der Grötzinger Maler an dieser Stelle vielleicht auch zu Ihnen gesprochen. Lassen Sie mich heute dort fortfahren, wo ich damals stehen geblieben war. Wie Sie sich erinnern werden, hatte ich zuletzt den Maler und Schriftsteller Gao Xingjian, dem vor vier Jahren eben erst der Literaturnobelpreis überreicht worden war, mit der Bemerkung zitiert, die Malerei fange für ihn dort an, wo die Sprache aufhöre und über seine Bilder könne er nicht viel mehr sagen als dies: in ihnen sei der Blick, der meditiert.

Meditation im strengen Sinn meint das Freiwerden des Geistes von jeglichem Inhalt. In der Meditation kommt, wenn man so will, der Geist zu sich selbst. Wer in solcher Weise meditiert, erstrebt den Zustand der reinen Aufmerksamkeit, die auf nichts anderes mehr aufmerksam ist als auf das eigene Aufmerksamsein. Wenn also Gao Xingjian sagt, in seinen Bildern sei der Blick der meditiert, so darf man wohl paraphrasieren, in Xingjians Bildern ist der Blick, dem es nicht ums Erblickte geht, der vielmehr durch sich selbst zu sich selbst kommen will. Für die Malerei bedeutet das: es geht ihr nicht um das Gesehene, sondern um das Sehen, nicht um das Dargestellte, sondern um das Darstellen. Wir finden entsprechende Gedanken auch bei dem hier vertretenen Maler Bruno Schüßler, wenn er sagt: "Entscheidend ist für mich weniger, was ich male, sondern wie ich es male". Das mag bei mehr oder weniger abstrakten Bildern unmittelbar einleuchten. Aber auch und gerade eine Malerei, die entschieden dem Gegenstand zu huldigen scheint, wie etwa diejenige von Ulrich Sekinger, gibt uns nicht den Gegenstand, sondern sich selbst als eine dem Gegenstand huldigende Malerei. Malerei und Bildhauerei enthalten ein selbstbezügliches Moment, dem man sich als Künstler weder durch einen Willensakt noch durch das Behaupten des Gegenteils entziehen kann.

Ich habe eben schon Ulrich Sekinger erwähnt, der wie Michael Melchers und Ulrich Rothweiler in diesem Jahr zum ersten Mal in der Ausstellung vertreten ist. Ihr heutiges Debüttieren als "Grötzinger Maler" darf ich zum Anlass nehmen, die drei Herren dem Publikum etwas ausführlicher vorzustellen als die hier schon seit längerem bekannten Künstlerinnen und Künstler, deren Namen ich an dieser Stelle aber ebenfalls nennen möchte. Es sind in alphabetischer Reihenfolge: die Keramikerin Sabine Classen und der Keramiker Stefan Holzmüller, der Maler Dieter Mokroß, die nicht nur Malerin Brigitte Nowatzke-Kraft, der Bildhauer Oskar Rösch und die Maler Richard Rothweiler, Bruno Schüßler sowie Harald Seyfried-Lantin.

Zurück zu den drei Neuzugängen, von denen einer, nämlich Michael Melchers, sozusagen ein doppelter oder eigentlicher Debütant ist, da er noch nie zuvor irgendwo ausgestellt hat, was ich, angesichts seiner Arbeiten für bemerkenswert halte. Man macht ja immer wieder auch die Anzahl der Ausstellungen, die einer vorzuweisen hat, zum Gradmesser für die Ernsthaftigkeit seines künstlerischen Strebens - ich habe das stets für blanken Unsinn gehalten, den ich mir nur so erklären kann, dass man aus der ökonomischen Not des Sich-veröffentlichen-Müssens die künstlerische Sekundär- oder gar Primärtugend des marktgerechten Verhaltens macht. Von da bis zur Gleichsetzung von Umsatzhöhe und künstlerischem Rang ist es nur ein kleiner Schritt. Und dass diese Gleichung in der Tat aufgestellt wird, dürfte allgemein bekannt sein.

Michael Norbert Melchers wurde 1961 im badischen Wehr geboren, übersiedelte aber bereits mit 5 Jahren nach Grötzingen. Er arbeitete zunächst als Chemielaborant, heute macht er freischaffend Bühnenhintergründe, Werbung, Lichtlogos und Messearbeiten.

Ulrich Rothweiler wurde 1955 in Karlsruhe geboren. Er ist gelernter Restaurautor und als solcher selbständig tätig. Seit 1992 arbeitet er am Badischen Staatstheater im Bereich Bühnenbild und Bühnentechnik. Er war im letzten Jahr in Grötzingen bei den offenen Ateliers dabei und hat sich bereits in der offenen Malergruppe an Ausstellungen beteiligt.

Es gibt übrigens mittlerweile innerhalb der Grötzinger Maler eine kleine Enklave von Bühnenschaffenden, dazu gehört neben Michael Melchers und Ulrich Rothweiler auch der Maler Dieter Mokroß.

Ulrich J. Sekinger wurde 1944 in Rielingshausen bei Marbach geboren. Er studierte von 1967-68 an der Ecole des Beaux Arts in Aix-en-Provence, später an der Kunstakademie Karlsruhe, Außenstelle Freiburg bei Professor Dreher. Wer Drehers Wassergläser kennt, wird sie vielleicht in Sekingers Totenschädeln wiedererkennen. Ab 1976 lebte und studierte der Künstler in Karlsruhe, bis 1978 war er Meisterschüler bei Professor Klaus Arnold, ein Umstand der eigentlich auf eine Laufbahn als Maler hindeutet, doch ab 1984 wandte sich Sekinger verstärkt dem plastischen Gestalten zu. Er ist der Schöpfer des Basler-Tor-Brunnens in Durlach und des Schlaucherbrunnens in Daxlanden.

Meine Damen und Herrn, wenn ein nobelpreiswürdiger chinesischer Maler und Poet dazu erklärt, dass er dort immer noch malen kann, wo er mit dem Schreiben an ein Ende gekommen ist, so wird man dies nicht als wohlfeile Kalenderspruchweisheit abtun können, die nicht viel mehr besagt, als dass Sprache Sprache und Malerei Malerei ist. Hinzu kommt: entweder sind wir mittlerweile alle (den Gang der Weltgeschichte vorwegnehmend) zu Chinesen geworden oder dort in China wie hier in Grötzingen äußert sich eine Erfahrung, die Maler scheinbar oder tatsächlich unterschiedlicher Erd- und Kulturkreise miteinander teilen.

Auch Harald Seyfried-Lantin spricht in Bezug auf seine Malerei von den "Metamorphosen lyrischer Abstraktionen", Bruno Schüßler vom Sichtbarmachen seiner Gedanken durch Bilder, Richard Rothweiler vom geistigen Gehalt, den es beim Malen zu finden gelte. Oskar Rösch schreibt dem Kunstwerk höchste spirituelle Kraft zu, Michael Melchers vermutet die Übertragung von Energien und Sabine Classen verweist auf die Lust und Logik ihrer Hände - alles Äußerungen, die auf Manifestationspotentiale jenseits des begrifflichen Fassens schließen lassen. Sie können das nachlesen in den Nummern 51-53 der bekannten Kunstzeitschrift "Grötzingen Aktuell".

Offenbar gibt es einen als nicht trivial empfundenen Unterschied zwischen dem, was man sagen, und dem, was man malen und plastisch formen kann. Und Künstler in aller Welt werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es sich eben so verhält.

Das Bedürfnis, die bildende Kunst als Kommunkationsraum eigenen Rechts vorzustellen und gegen die Allgegenwart des Sprachlichen zu behaupten entsteht im Kontext einer Kultur, die die Welt als sprachliche Schöpfung begreift. Ein namhafter Sprachwissenschaftler veröffentlichte Mitte des 20. Jahrhunderts einen Aufsatz mit dem Titel "Das Worten der Welt als sprachliche Aufgabe der Menschheit" und der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein formuliert: "Die Welt ist alles, was der Fall ist", was nichts anderes heißt als: die Welt ist das, wovon man sagen kann, dass es ist. Am radikalsten aber wird die Sicht von der Welt als Sprachgeburt bereits im Buch der Bücher vorgetragen. Das Evangelium nach Johannes beginnt mit dem Satz: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Und gleich darauf: alle Dinge sind durch das Wort gemacht und ohne das Wort ist nichts gemacht, was gemacht ist. In der Frühzeit unserer Kultur formuliert jemand die erstaunliche These, Wort, Gott und Welt seien im Grunde dasselbe oder doch wenigstens untrennbar miteinander verbunden - vom Bild ist dabei noch nicht einmal in einem Nebensatz die Rede. Die Allgegenwart des Sprachlichen ist von der Allgegenwart Gottes nicht unterscheidbar, der einen kann man sich mithin ebenso wenig entziehen wie der anderen. "Im Anfang war das Wort" - der Nachhall dieses Trompetensignals ist bis in unsere Tage hinein zu hören und das Echo des Echos seines Echos klingt noch nach in den Telefonaten, die geführt werden, um zu bewirken, dass doch bitte gefälligst in den BNN eine Besprechung der jeweils gerade laufenden Ausstellung erscheinen möge, damit diese endlich doch noch in den Rang einer real existierenden Tatsache erhoben wird und den Status eines Teilchens im Kosmos dessen, was der Fall ist, erhält. Auch der Umstand, dass wir glauben, auf Einführungsreden wie diese nicht verzichten zu dürfen, ist, nebenbei bemerkt, ein Indiz dafür, dass man den Bildern ein Bestehen aus eigener innerer Kraft, sozusagen ein Für-sich-selbst-Sprechen nicht so recht zutraut.

So kann es eigentlich niemanden wundern, dass Künstler sich immer wieder veranlasst sehen, auf die Eigenständigkeit des Bildlichen hinzuweisen und auf dessen Nicht-Übersetzbarkeit ins Chinesische oder Deutsche zu bestehen. Der Versuch, solche Übersetzungen für die hier versammelten Bildwerke dennoch anzufertigen wurde von mir, wie Sie bemerkt haben werden, gar nicht erst unternommen. Verstehen Sie das aber nicht als grundsätzliche Absage an Vorstöße in diese Richtung - streng genommen könnte man ja noch nicht einmal einen Satz aus dem Nordbadischen ins Westschwäbische übersetzen ohne dass dabei Wesentliches verloren ginge - und dennoch werden entsprechende Übertragungen im alltäglichen Bedarfsfall ganz beiläufig und mit der größten Selbstverständlichkeit akzeptiert.

"Musik ist Vergängnis." - "Das Bild dauert vor sich hin", schreibt der Komponist Wolfgang Rihm. Wenn über ein Bild oder eine Plastik also überhaupt etwas Wesentliches, also etwas, was das Wesen des Gegenstands zur Sprache bringt, zu sagen ist, dann muss es nicht unbedingt sofort sein. Es hat damit gar keine Eile. Ich halte es für möglich, dass, für mich zumindest, sogar erst in vier Jahren, also im Jahre 2008 anlässlich der 15. Gruppenausstellung Grötzinger Maler der geeignete Zeitpunkt dafür gekommen ist.

Lothar Rumold

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