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"SpielArt - zeitgenössische Kunst aus Baden-Württemberg"

Ausstellung des Landesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler Baden-Württemberg (139 Teilnehmer/-innen)

Eröffnung: Sonntag, 15. Juni, 17:00 Uhr,
Ort: Regierungspräsidium am Rondellplatz, Karl-Friedrich-Str. 17, 76133 Karlsruhe
Dauer: 17.6.-20.7.2008
Öffnungszeiten: Di-Fr 11:00-18:00 Uhr

Lothar Rumold: "One Look is Worth a Thousand Words oder: Kunstwerke wegtexten. Ein romantisches Versteckspiel"

    "Was ihm die Schrift nicht sagen kann / Das ist das G'mäl' für den g'meinen Mann." (Ferdinand Kürnberger, 19. Jahrhundert)
    "One Look is Worth a Thousand Words." (Fred A. Barnard, 1921)
    "Die Sprache ist das verdrängte Unbewusste des Bildes - das Sprachbegehren, dessen sichtbare Grimasse das Bild darstellt." (Boris Groys, 2007)


    "Zu Beginn der Geschichte (also um 1500 v. C., als das Alphabet erfunden wurde) gingen die Texte gegen die Bilder vor, um diese zu erzählen, und damit weg zu erklären. (Das historische Bewusstsein, damals nur einer kleinen Schicht von Litterati verfügbar, engagierte sich gegen das magisch-mythische Bewusstsein der Menge.)" (Vilém Flusser, Krise der Linearität, 1988)

    Vilém Flusser versteht Geschichte als den Prozess fortschreitenden sprachlichen Begreifens. Im Medium der Schrift wird die bildhafte "Zone des Imaginären, des Magischen und Rituellen" begrifflich expliziert. Der Text "reißt uns aus den Bildern heraus, die in unserem vorschriftlichen Bewusstsein die Welt und uns selbst darin bedeutet haben." Beim Schreiben geht es "um ein Transcodieren des Denkens, um ein Übersetzen aus den zweidimensionalen Flächencodes der Bilder in die eindimensionalen Zeilencodes, aus den kompakten und verschwommenen Bildercodes in die distinkten und klaren Schriftcodes, aus Vorstellungen in Begriffe", heißt es in Vilém Flussers 1987 erschienenem Essay über die Schrift. Und an anderer Stelle: "Kritik der Bilder ist im Grunde ein Transkodieren von Fläche zu Zeile."

    Im Rahmen der Ausstellung "SpielArt", die vom 17. Juni bis zum 20. Juli 2008 im Karlsruher Regierungspräsidium am Rondellplatz stattfindet, kommt es unter dem Vorwand eines "romantischen Versteckspiels" zu einer womöglich ernst zu nehmenden ikonokla(u)st(r)ischen Intervention. "Wegerzählt" oder "wegerklärt" werden dabei insgesamt zehn Kunstwerke der Ausstellung - eins nach dem anderen für jeweils drei Tage.

    Jeweils drei Tage lang (die Ausstellung dauert insgesamt dreißig Tage) wird ein vom Versteckspielleiter ausgewähltes Exponat in einen für diesen Zweck bereitgestellten Schrank gehängt. Sich auf die Etymologie seines Begriffs besinnend erweist sich das Möbelstück als bewegliches Gut und wandert durch die Ausstellung. Neunmal wechselt es den Standort, um sich möglichst in der Nähe des Herkunftsortes seines jeweiligen Inhalts zu befinden.


    Schrank mit weggetextetem Wandobjekt von Dorothea Panhuyzen: "Schwarzwaldmädel", 2007

    Wo Bildwerk war, kann Schriftstück werden. Das kollektive "verdrängte Unbewusste" der Bilder und Objekte von Helmut Binninger, Monika Fulda, Gabriele Goerke, Christoph von Haussen und Rolf Linnemann, Tim Stefan Heger, Ingolf Jännsch, Dorothea Panhuyzen, Marja Scholten-Reniers, Gisela Späth und Valentin Vitanov kommt zu Wort in Gestalt einer Erzählung des Schweizer Autors Jürg Amann: "Hardenberg - Romantische Erzählung nach dem Nachlaß des Novalis", zuerst erschienen 1978, aufgeteilt in zehn Abschnitte mit jeweils ca. 1.250 Wörtern.

    Ein Programmheft hält fest, welche Bilder oder Objekte in welcher Reihenfolge durch welche Textpassagen ersetzt wurden. Die Segmentierung des vollständig wiedergegebenen Originaltextes und die blockartige Präsentation ist Teil der Inszenierung und entspricht nicht dem ursprünglichen Erscheinungsbild der Erzählung.

    Das verdrängte Unbewusste des Bildes kommt im Text zur Sprache. Das verdrängte Unbewusste des Textes taucht auf in anderen Texten. Wenn die Beziehung zwischen den "weggetexteten" Werken und Jürg Amanns Erzählung weitgehend dunkel und rätselhaft bleibt, heißt das nur, dass wir mit unseren Weg-Erklärungen und Übersetzungen, mit unseren Kritiken und analytischen Explikationen vorläufig noch an kein Ende gekommen sind.

    Lothar Rumold


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